Wahl-O-Mat-Auswertung Bundestagswahl 2021, Teil 2: Thesen- und Parteienverwandtschaften
Nach der Parteienlandkarte gibt es auch dieses Jahr einen zweiten Teil der Wahl-O-Mat-Auswertung mit der ebenfalls schon aus 2017 bekannten Cluster Heatmap, die sowohl eine Analyse von Parteinachbarschaften, als auch von verwandten Thesen (=ähnliches Parteizustimmungsmuster) zulässt. Diese Art der Grafik ist sehr Informationstragend. Ich präsentiere sie wieder zuerst, und danach führe ich euch schrittweise heran.
Was also sehen wir hier? Der Kern der Grafik, das große rotblaue Rechteck, ist eine sogenannte Heatmap. Das ist nichts weiter, als die farbliche Darstellung einer Tabelle.
Zeilen, Spalten, Heatmap
Die Zeilen der Tabelle sind die Thesen des Wahl-O-Mats. Die Spalten sind die Parteien. Thesen sind rechts beschriftet, Parteien unten. Über dem großen Rechteck findet ihr bei den bekannteren Parteien noch deren Farbe.
Das große blaurotgraue Rechteck in der Mitte sind nun die Antworten der jeweiligen Parteien zu den jeweiligen Thesen. Rot ist Zustimmung, Blau ist Ablehnung, Grau ist Neutralität. Man kann sehr schön sehen, dass die Partei Gesundheitsforschung (in der Bildmitte) überall neutral abgestimmt hat. Das war auch schon die Heatmap, die könnt ihr jetzt lesen.
Gruppierung der Parteien
Jetzt ist euch bestimmt schon aufgefallen, dass sowohl die Thesen, als auch die Parteien keine Ordnung haben, die man auf Anhieb versteht. Auf den ersten Blick scheinen die „irgendwie“ durcheinandergewürfelt zu sein.
Des Rätsels Lösung ist: Sowohl Thesen als auch Parteien sind – grob! – nach Ähnlichkeit geordnet! Zwei Parteien sind ähnlich, wenn ihre Antworten auf die Thesen sich gleichen (in der Heatmap sind das ähnliche Spalten). Und das geht auch andersrum: Zwei Thesen sind einander ähnlich, wenn sie von den gleichen Parteien gemocht bzw. nicht gemocht werden (das sind dann ähnliche Zeilen, und dazu kommen wir gleich).
Wir schauen uns erstmal die Reihenfolge der Parteien an. Die haben sich anscheinend automatisch nach ihrer politischen Richtung angeordnet (ja, automatisch, das ist nicht mein Werk, und das ist das interessante daran!).
Gut sichtbar ist auch die Gesundheitspartei, die alle Thesen neutral angekreuzt hat, und darum ziemlich genau in der Mitte einsortiert ist. Böse Zungen würden meinen, sie perfektioniert den Trend, im Wahlkampf bloß keine Akzente zu setzen.
Insgesamt sieht man wieder den riesigen anscheinend links ausgerichteten Parteiblock, den wir schon in der Parteienlandkarte gesehen hatten, auch hier in der Grafik links. Diese Gruppe Parteien ist in sich sehr, sehr homogen mit nur sehr wenigen Unterschieden. Im Wesentlichen mögen sie alle die oberen Thesen, darum ist da alles rot. Und sie lehnen – wenn auch verrauscht – die unteren Thesen ab, darum ist da viel blau.
Rechts vom der homogenen Gruppe kommen die Parteien der Mitte (FDP, SPD, CDU) und alle drumherum, wobei ich die CDU hier als linke Grenze des rechten Blocks sehe. Diese Parteien scheinen eher den unteren Thesenblock zu favorisieren, man kann das aber weniger allgemein sagen, da dieser Parteienblock viel weniger Konformität aufweist als der linke (hier ist sozusagen der ganze Rest von Mitte über Konservativ und Wirtschaftsorientiert bis nach ganz rechts, aber auch die nicht-einsortierbaren).
Hier sieht man auch schön, dass sich NPD und „III. Weg“ von ihren Antworte auf die Thesen her kaum unterscheiden, wie im letzten Blogartikel bereits behauptet.
Wieder bitte ich, die absolute Position mit Vorsicht zu genießen: Wenn eine Partei in der Grafik hier „die linkeste“ ist, heisst das nicht, dass sie das auch politisch ist, das ist ohnehin schwer zu quanfitizieren. Aber die groben Nachbarschaften stimmen.
Gruppierung der Thesen
Jetzt zu den Thesen. Wir sehen den riesigen roten, fast massiven Block oben links in der Heatmap. Links sind die anscheinend links ausgerichteten Parteien, und rot ist Zustimmung. Ich wiederhole noch mal: Die Ausrichtungen der Parteien wurden hier nur an der Antwort auf die Wahlomatthesen vermessen, das ist alles unscharf (wenn auch interessant). Diese Thesen scheinen also alles linke Herzensangelegenheiten zu sein, wohingegen bei den linken Parteien unten fast alles blau ist, also abgelehnt wird. Wir machen mal ein paar Stichproben.
Die Linken mögen fast übergreifend Vermögenssteuer, Mietpreisbremsen, Mindestlohnerhöhung, Cannabisverkauf (was wäre die Welt langweilig ohne gute Klischees!), Gendern, und viele Themen mehr, die man auch spontan als „eher links“ einstufen würde. Scheint echt zu passen.
Der Witz ist, dass in diesem homogenen roten Block blaue Ausnahmen sofort sichtbar sind. Das können wir jetzt nutzen, um mittels fiesesten Vorurteilen etwas Ketzerei zu betreiben. So ist zum Beispiel die SPD gegen Elternunabhängiges BAföG, und bei aller progressivität, auch gege Kopftücher im Dienst. (Sicher gibt es dafür Beweggründe, ihr könnt auf der Wahl-O-Mat-Seite in den Thesenbegründungen nachlesen, warum jede Partei wie abgestimmt hat, aber schon aus Gründen des Augenzwinkerns muss ich das hier aufführen.) Bestimmt findet ihr auch noch weitere lustige Einzeldatenpunkte.
Hier links verortete Parteien mögen fast übergreifend nicht: Verbrennungsmotoren, Abschaffung des Familiennachzugs, und dass es Asyl weiterhin nur für politisch Verfolgte geben soll. Ebenfalls komplett blau ist der linke Parteienblock bei der speziellen Förderung der traditionellen Familie.
Die anderen Parteien sind insgesamt untereinander deutlich weniger konform, darum können wir da weniger lustige Ausreißer finden. Schade. Ich hätte gerne auch die andere Seite etwas ketzerisch aufs Korn genommen. Müsst ihr selber machen Homogen ist vor allem eine These: Die gesamten nicht-linken Parteien sind gegen einen Geschlechterproporz auf den Landeslisten und Anstiege des CO2-Preises.
Egal, genug vorgekaut, schaut euch selber an. Was wir noch nicht besprochen haben, ist, wie das Gruppieren funktioniert (diese Section ist für die technischer interessierten unter euch).
Hierarchical Clustering
Die Gruppierungsmethode hier heißt Hierarchical clustering, und wie der Name schon sagt, erstellt sie eine Hierarchie von Gruppen. Ineinandergeschachtelte Gruppen, sozusagen. Beispiel Parteien: Die Menge aller Parteien wird erstmal in zwei geteilt, und zwar mathematisch so, dass die beiden neu entstandenen Teilgruppen in sich möglichst homogen, also einander ähnlich sind (im Abstimmungsverhalten bezüglich der Thesen). Mit den Teilgruppen wird das dann wieder gemacht, und so weiter und so fort, bis jede Gruppe nur noch eine Partei stark ist.
Die entstandene hierarchische Gruppenstruktur wird durch die Bäume im Bild angezeigt. Oben ist der Baum für die Parteien, und links der für die Thesen.
Wir sehen , dass die alleroberste Verästelung (nennen wir mal Split 1) zwei Untergruppen produziert. In einer Gruppe sind alle eher linken Parteien, und in der anderen Gruppe der ganze Rest: Mitte, konservativ, wirtschaftsliberal, rechts. Der linke cluster ist also der größte aus Sicht der politischen Ausrichtung, grob so groß wie alle andern zusammen. Schon mal interessant. (Warum mache ich eine Partei dort auf, wo sich bereits ewig viel Konkurrenz tummelt? Ich mache doch auch keinen McDonalds in einer Kleinstadt auf, wo es schon fünf McDonalds und drei andere Burgerläden gibt.)
Betrachten wir nun die rechte Gruppe. Diese wird wieder in zwei gespalten, im linken Teilbaum der Rechten gruppe finden sich CDU, FDP, AfD an bekannten Parteien. Der rechte Teilbaum scheint mir eher für Parteien zu sein, die sich schwer einsortieren ließen.
Generell gilt: Je tiefer Parteien voneinander getrennt werden, desto ähnlicher sind die sich. Parteien, die früh getrennt werden, sind nur in sehr weitgefassten Gruppen zusammen, also insgesamt voneinander eher entfernt (z.B. Linke und AfD).
Beim Ast der linken Parteien funktioniert es genauso. Hier gibt es dann den „mittleren Linken“ Teilast mit Piraten und SPD, und den „linken linken“ mit Linkspartei und Grünen.
Der Baum, der die Thesen splittet, funktioniert genauso. Die verschiedenen ober und Untergruppen werden zueinander layoutet, und so ergibt sich eine einigermaßen schlüssige Ordnung der Thesen, wobei es hier genau andersrum ist: Thesen sind ähnlich, wenn die gleichen Parteien für oder gegen sie stimmen.