Warum es nicht zielführend gewesen wäre, von Xerox Geld zu verlangen
Es gibt noch eine weitere Frage, die im Nachgang zur Xerox-Saga häufig gestellt wird - und die ich hiermit öffentlich beantworten möchte. Die Frage lautet, ob ich von Xerox Geld (oder geldwerte Vorteile) angenommen habe. Die Antwort lautet: Nein, habe ich nicht. Ich habe mir nicht einmal meine DHL-Expressmarke erstatten lassen, mit der ich die Originale zu Francis Tse gesendet habe.
Auf diese Antwort hin ernte ich manchmal ungläubige Blicke oder Nachfragen. „Wirklich nicht?“ – „Wirklich nicht. Keinen Cent.“ Bis jetzt war das okay für mich, aber auf Basis des aktuellen Artikels zur Xerox-Saga in der Computerzeitschrift c't und einiger anderer Fachartikel ging mir folgende Ansicht eines Wirtschaftsmanagers zu, die mich überrascht hat. Die pointierte Kurzfassung lautet: Ich wäre schön blöd, wenn ich Xerox für meine Dienste nicht wenigstens einige Zigtausend Euro in Rechnung gestellt hätte, in Anbetracht der Tragweite des Problems mutmaßlich deutlich mehr. Gut, soweit waren wir schon. Die Überraschung für mich war: Im Übrigen würde das jeder c't-Leser angesichts meines engen Kontaktes zur oberen Xerox-Etage in dieser Zeit sowieso annehmen.
Ich will diese Ansicht überhaupt nicht verteufeln. Man kann sie mit stichhaltigen Argumenten stützen, und derjenige, der dieses Urteil abgab, hat dem Vernehmen nach genug praktische Erfahrung wirtschaftlichen Erfolg vorzuweisen, um ein sicheres Gespür für die Sachlage zu haben. Zudem ist eine größere Finanzspritze ja für einen 29jährigen am Anfang des Berufslebens nicht immer unpraktisch. Also lege ich einfach mal meine Ansicht und die Begründung für meine Vorgehensweise offen. Jeder kann sich dann entscheiden, ob ich blöd gewesen bin, oder eben nicht. Für jedes Feedback bezüglich meiner Blödheit bin ich natürlich dankbar.
Mein Hauptziel in dieser Sache war klar: Der Fehler war schwerwiegend, und er sollte in Anbetracht der betroffenen Gerätezahl schnellstmöglich behoben werden. Nachdem der Xerox-Support eine Woche von mir bearbeitet worden war, musste ich feststellen, dass man mir nicht nur nicht helfen konnte – man wusste schlicht nichts von der Möglichkeit der Zeichenersetzung. Dass irgendwo winzige Absätze diesbezüglich im Manual und im Admin Panel stehen (und auch nur für einen einzigen Kompressionsmodus), wusste der Support auch nicht. Besonders frustrierend: Es wurde auch nicht signalisiert, dass irgendetwas zur Behebung getan würde. Diese Reaktion des Supports mag teilweise nachvollziehbar sein, ist doch eine solche Sache ein Alptraum für die Unternehmens-PR und der Bote wird bekanntlich gehängt. Sie ist aber nicht sehr weitsichtig.
Ich musste einsehen: Auf diesem Wege würde der Fehler nicht behoben werden. Wie also zwingt man einen Großkonzern dazu, einen Patch für einen riesigen Gerätepark zu entwickeln und auszurollen, allen rechtlichen und PR-Abwägungen zuwider? Einen Patch, der ein in den Hochglanzprospekten angepriesenes Feature eines riesigen Geräteparks zurückruft oder zumindest eklatant verstümmelt? Und das auch noch schnell? In einem Konzern sind die Entscheidungswege schon für Kleinigkeiten lang. Daraus kann man sich leicht die Erfolgschancen und die Bearbeitungsdauer ausrechnen, die man als Außenstehender mit solch einem Vorschlag zu erwarten hat.
Ich habe mich also entschlossen zu versuchen, Xerox durch öffentliche Aufmerksamkeit anzutreiben oder wenigstens meine Verhandlungsposition zu verbessern. Dafür habe ich die Informationen in dem originalen Blogartikel hübsch aufbereitet, auf Deutsch und Englisch veröffentlicht, und – vielleicht am wichtigsten – eine Do-it-yourself-Anleitung zum Fehlerreplizieren entwickelt und beigelegt. In der Folge wollte ich dann versuchen, ein paar Aufmerksamkeitskeimzellen dazu zu bewegen, auf mich zu verlinken, und dann weitersehen. Und genau zu diesem Zeitpunkt – unmittelbar vor der Veröffentlichung meines Blogartikels – hätte ich mir über eine Bezahlung Gedanken machen müssen, wenn ich sie denn gewollt hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir aber eben darüber keine Gedanken gemacht, weil ich eine ganz andere Zielsetzung hatte, nämlich einen großen Konzern von einem ebenso großen Problem mit unüberschaubaren Konsequenzen zu überzeugen. Dies erscheint mir auch heute noch aus den folgenden zwei Gründen als geradliniger und richtiger Weg.
Mit einem solchen Bug einem Unternehmen Bezahlung abzufordern, ist schwer.
Der Nachweis eines solchen Fehlers führt sehr häufig direkt zum Bugfix. Das war hier auch so – ihr habt alle gesehen, in welcher Geschwindigkeit die Patches da waren. Ein Mechanismus des „kleinen Nachweises, der aber noch nicht weiterhilft“ (bei Lösegeldforderungen im Rahmen von Entführungen z.B. die Übersendung des kleinen Fingers des Entführten) ist in unserem Bereich schwer zu finden . Ohne Nachweis wird man aber gar nicht erst ernst genommen, denn ein Unternehmen in der Größenordnung von Xerox (140.000 Mitarbeiter) hat am Tag zig Spinner in der Leitung, die mit irgendetwas drohen. Vermutlich hätte man da jetzt einen „Falls meine Beweise stichhaltig sind, dann kriege ich“-Vertrag aushandeln können. Das kostet aber Zeit, man kann hingehalten werden, und ich wollte, dass der Fehler schnell behoben wird.
Wenn Goliath übermächtig ist, sollte David nicht berührbar sein.
Hin und wieder hört man tatsächlich von Einzelpersonen, die es schaffen, mit Hilfe des Internets unter den Augen der Öffentlichkeit ihre eiskalte Hand an die Elfenbeinschnitzereien eines Großkonzerns zu legen. Nennen wir den Großkonzern hier Goliath, und die Einzelperson David. Das geht dann meist auf eine von zwei Arten aus.
- Entweder, David hat sich vertan und falsche Tatsachen behauptet. Dann ist das nicht nur sehr, sehr peinlich, sondern David kann auch noch in den Ruin geklagt werden.
- Oder David hat Recht (oder alternativ wenigstens eine größere Öffentlichkeit auf seiner Seite, aber so etwas ist flüchtig). David hat nun noch keine automatische Siegesgarantie, aber zumindest wird es interessant.
Falls David im zweiten Fall schwer angreifbar ist, kann er Goliath zu so einigem treiben. Bedenkt, dass Goliath, anders als ein Mensch, keine Freundschaften kennt. Er kennt nur eigene Interessen. Falls David nun angreifbar wäre, würde Goliath – verständlicherweise – irgendwann versuchen, die eiskalte Hand wieder von seinen Elfenbeinschnitzereien zu entfernen. Das macht Goliath, indem er David ins Zwielicht stellt, und zwar – ebenfalls verständlich – bevor es teuer wird (zum Beispiel durch das Ausrollen eines flächendeckenden Updates). Und selbst wenn Goliath willens ist, das Problem zu beheben, wäre David nicht gerettet! Goliath würde – wieder verständlich – versuchen, sich David dennoch vom Hals zu schaffen, um wenigstens schon einmal den PR-Alptraum abzuwürgen.
Wie das am einfachsten geht, weiß jeder, der den fulminanten, Vuvuzelagestützten Abgang unseres letzten Bundespräsidenten Wulff mitverfolgt hat: Mit ausgezahltem Geld oder geldwerten Vorteilen. Wäre früh herausgekommen, dass ich für die Sache irgendwelche Zuwendungen erhalten hätte, hätte das anrüchig ausgesehen, ganz egal ob sie gerechtfertigt gewesen wären oder nicht. Ergebnis: Ich hätte mutmaßlich niemals diese Aufmerksamkeit und immense Unterstützung der Community erhalten und wäre auch weniger von der Presse gefördert worden (es gab hunderte gegenüber mir sehr wohlwollende Medienartikel weltweit).
Ich hätte auch weniger guten Kontakt zu Xerox selbst gehabt, wäre Geld geflossen. Einer der wichtigsten Blogartikel zum Thema war derjenige, dass auch die Werkseinstellungen der Kopierer von dem Fehler betroffen sind. Ab da war klar: Das ist das volle Programm, jetzt wird es ernst. Wie aus dem Artikel hervorgeht, habe ich ihn in enger Zusammenarbeit mit Xerox geschrieben. Xerox hat ihn mir nämlich gegengelesen und ein paar Kleinigkeiten diplomatischer formuliert (natürlich hätte ich keinem Edit zugestimmt, der den Sinn verfälscht oder Tatsachen ausgelassen hätte). Das ganze hat sich für mich dreifach gelohnt. Ich war rechtlich abgesichert, konnte noch vor Xerox die Tragweite veröffentlichen und gleichzeitig auch noch schreiben, dass Xerox mir den Fehler bereits bestätigt hat, was eine gewisse Sicherheit bot, dass der Fehler auch angegangen werden würde. Solch ein Zusammenspiel eines Großkonzerns mit einer Einzelperson ist selten, und ihr werdet mir zustimmen, dass ich niemals daraufhin hätte verhandeln können, wäre ich von Xerox bezahlt worden.
Fazit - und eine Lanze für Xerox
Als wichtigstes Fazit ist daher zu ziehen: Geld zu verlangen oder auch einfach nur zu nehmen, hätte das Primärziel in jedem Fall gefährdet. Ich hätte die Angelegenheit niemals auf diese Weise in dieser Öffentlichkeit durchziehen können.
Ich gebe jedoch gerne zu, dass ich aus der Angelegenheit immateriellen Nutzen gezogen habe. Zunächst: Diese Internetseite hat jetzt ein paar Hits mehr als vorher (trotzdem schalte ich keine Werbung, die versaut mir das Design, da bin ich penibel ). Die Zugriffszahlen sind hier aber nicht der Punkt. Man kann so seine Stimme stärken. Schließlich: Auch wenn man zwischendurch natürlich ein bisschen nervös ist, macht es einfach Spaß, einem dicken Ding auf der Spur zu sein, das gegen Widerstände durchzuziehen und damit durchzukommen – dies schließlich sogar auch noch im Einvernehmen mit dem Kontrahenten.
Dies führt mich dazu, eine Lanze für Xerox zu brechen. Mir ist zu keinem Zeitpunkt etwas angeboten worden. Das haben ein paar Leute, mit denen ich gemailt habe, als schäbig empfunden. Ich finde aber, daraus kann man nicht etwa auf Schäbigkeit von Seiten Xerox' schließen, sondern eher darauf, dass alle Seiten irgendetwas richtig gemacht haben müssen, denn ich hätte ja ohnehin jedes Angebot ablehnen müssen. Bedenkt auch, dass ich nach sehr kurzer Zeit nicht mehr mit deren PR- oder Rechtsabteilung gesprochen habe, sondern tatsächlich mit den Leuten, die in Charge waren. Leute die, ihr wisst schon, tatsächlich etwas tun wollten. Die wollten genauso dringend eine Lösung herbeiführen wie ich. Man muss sich auch vorstellen, dass die sich zu unseren Telefonaten jeweils in einer akuten Notlage befanden. Entweder, sie hatten just in diesen Moment von einem Riesenproblem erfahren, für das es keinen Fix gab, oder aber, sie waren gerade fieberhaft dabei, eine Lösung herbeizuführen. Anhand des Gesprächstons habe ich ganz klar gelernt: Top-Manager sind auch nur Menschen . Und die werden in diesen Momenten genauso wenig über irgendwelche Zuwendungen zu meinen Gunsten nachgedacht haben wie ich.
Last but not least: Ich habe aberhunderte technisch versierte und hilfreiche Mails von der Community erhalten. Ohne die hätte ich das nicht in dieser Form und Geschwindigkeit geschafft. Von denen hat auch niemand Geld gesehen – so funktioniert es eben manchmal im Netz. Und es gab auch noch ein paar Helfer, die näher dran waren als die Community und die mir den Rücken gestärkt haben – genauso ehrenamtlich. Aber das wird eine Story für einen anderen Artikel.